Sie ist das Gesicht der jungen Generation im Brigachtal. Vor fünf Jahren startete Veronika Sieber als eine der jüngsten Gemeinderäte Baden-Württembergs in die Kommunalpolitik. Heute ist sie dankbar für diese Zeit. „Ich habe mich extrem entwickelt“, sagt die studierte Betriebswirtin, die inzwischen bei dem Singener Pharmaunternehmen Takeda ihre Bachelor-Arbeit geschrieben hat. Zu lernen, wie man argumentiert und zuhört, das habe sich gelohnt. In ­Kürze wird sie 23. Zur Kommunalwahl am 26. Mai will sie aber nicht wieder antreten. Nicht, weil sie keine Lust auf Kommunalpolitik hätte, sagt sie und schüttelt nachdrücklich den Kopf. Ihr Ziel sei es, weiter zu studieren und ihren Master neben dem Vollzeitjob zu machen. Dazu braucht es viel Kraft und Konzentration auf das Wesentliche. Zeit bleibt dann kaum noch für die Einarbeitung in Bebauungs- und Haushaltspläne.

Stimmenkönigin mit 18 Jahren

Das öffentliche Interesse war groß, als Veronika Sieber 2014 in den Gemeinderat gewählt wurde. Zwei Wochen vorher war sie gerade erst 18 geworden, und als Stimmenkönigin der Liste Pro Brigachtal verdrängte sie ihren Vater Albrecht aus dem Gremium, obwohl er die zweitmeisten Stimmen bekommen hatte. Denn die Regel besagte: In einer Gemeinde von der Größe Brigachtals mit gut 5000 Einwohnern dürfen nicht zwei Mitglieder einer Familie in dem 14-köpfigen Gremium sitzen. Das Ganze sei damals friedlich und wohlwollend abgegangen, erinnert sich die junge Frau. „Das war ein Riesen-Gag, mein Vater war froh, dass „Pro Brigachtal“ wieder drei Sitze hatte, noch dazu mit einer verjüngten Mannschaft.“

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Laut einer Untersuchung der Verwaltungshochschule Kehl ist der Anteil der Unter-25-Jährigen an den Ratstischen der Gemeinden im Land überaus gering. 2009 waren es gerade einmal 0,6 Prozent. Die meisten Räte sind mittleren Alters zwischen 45 und 65 Jahren. Allerdings setzen viele Gemeinden inzwischen auf die Jüngeren. Und Wissenschaftler wie Paul Witt von der Verwaltungshochschule Kehl forschen daran, wie sich die Absenkung des Wahlalters auf 16 auch in Baden-Württemberg auf die Kandidatensuche in den Gemeinden auswirkt.

Talent vom Vater

Ihr politisches Talent hat Tochter Veronika offenbar von ihrem Vater. Der Heizungsbauer hatte sich vor mehr als zehn Jahren in den drei Ortsteilen mit anderen zusammengetan, weil er sich mit dem zunehmenden Lastwagenverkehr in ihrem Ort nicht abfinden wollte. Sorgen machte nicht nur der Verlust an Lebensqualität. Ein Problem war auch die Sicherheit des Schulweges für Kinder. Veronika Sieber war mitten unter den Rebellen: Debatten am Esstisch, Flyer gestalten – all das begeisterte schon die 13-Jährige, und „Pro Brigachtal“ zog 2009 mit drei Sitzen in den Gemeinderat.

Stimmabgabe zur Kommunalwahl. Über 200.000 Jungwähler entscheiden mit.
Stimmabgabe zur Kommunalwahl. Über 200.000 Jungwähler entscheiden mit. | Bild: Wolfram Kastl,dpa

In den vergangenen fünf Jahren machte nun die Abiturientin aus dem Ortsteil Überauchen Kommunalpolitik. Geschenkt bekam auch sie nichts, während sie sich einarbeiten musste. Frisch gewählt, besuchte sie Seminare, etwa über das Aufstellen eines Flächennutzungsplans. Sie machte Begehungen in den drei Ortsteilen Überauchen, ­Kirchdorf und Klengen, arbeitete sich durch zahllose Sitzungsunterlagen und diskutierte munter mit. „Ich saß immer zwischen den beiden älteren ­Gemeinderäten,“ sagt Sieber, noch ­heute dankbar für manchen Ratschlag ihrer Sitznachbarn. Was ihr immer wichtig gewesen sei: Wer die Gemeinderats­arbeit ernst nimmt, sollte auch die eigene Meinung nicht an der Garderobe abgeben.

Alle drei Wochen eine Sitzung

Wer sich eine Meinung bilden, wer Position beziehen will, muss allerdings Zeit mitbringen. Da reichte es nicht aus, beim Dorffest mit den Bürgern ins Gespräch zu kommen. Alle drei Wochen war auch eine Sitzung, die dreieinhalb Stunden dauern konnte und davor die Vorbereitung zwischen einer und fünf Stunden. Stolz ist Veronika Sieber schon darauf, dass sie sich den Respekt ihrer Ratskollegen erarbeitet hat.

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Ein Problem ist, wie überhaupt in den allermeisten anderen Ratsgremien der geringe Frauenanteil. In Brigachtal, gerade zehn Kilometer von Villingen-Schwenningen entfernt, sitzen nur zwei Gemeinderätinnen am Tisch. Eine „Minderheit“ nennt Veronika Sieber den Frauenanteil freundlich. Frauen kandidieren deutlich seltener, gerade weil das Ehrenamt noch zu Beruf und Familie oben drauf kommt. An Respekt durch das andere Geschlecht habe es in Brigachtal aber nie gefehlt, sagt sie und prescht keck vor: „Anderes würden sie sich bei mir auch nicht trauen.“ Damit der Frauenanteil auch bei der Wahl im Mai nicht weiter abfällt, wirbt sie für eine Kandidatin, die ihr nachfolgen könnte und die schon als Zuhörerin regelmäßig und mitunter als eine der einzigen Zuhörer dabei gewesen sei: „Sie war bei jeder Sitzung und immer vor mir im Ratssaal. Eine Vorzeigebürgerin“, sagt sie und hebt den Finger. Das sei allerdings auch in Brigachtal selten, stellt sie fest. Die Zuschauerplätze blieben sonst oft ziemlich leer.

Eines der bevorzugten Themen der jungen Gemeinderätin war in den fünf Jahren die Kindergartenversorgung der drei Gemeinden. Es habe einige Debatten gebraucht, bis das Gremium einen Grundsatzbeschluss für den Neubau im Ortsteil Überauchen gefasst habe, jetzt nehmen die Planungen sichtlich Fahrt auf. Für Brigachtal sei das ein wichtiges Thema, bestätigt Sieber. Denn seit einiger Zeit wächst die Gemeinde. „Wir merken die Babyboomer“, freut sie sich. Alle drei Kindergärten seien ausgelastet, das hängt vor allem mit dem Wachstum der Neubaugebiete zusammen.

Man braucht einen langen Atem

Gemeinderatsarbeit braucht einen langen Atem, wie die junge Frau auch beim Kindergarten feststellen musste. Obwohl schon so viel Zeit bis zum Beginn der Planungen des Kindergartens verstrichen ist, wird es noch einige Jahre dauern, bis die Dreikäsehochs in ihren neuen Kindergarten einziehen können. „Das war auch für die Angestellten wichtig, damit sie eine Perspektive haben,“ findet sie.

Dass ihre Ratsarbeit jetzt verstärkt auf junge Menschen abgefärbt hätte, sieht Sieber allerdings nicht. Sie sei nicht oft aktiv von jungen Leuten angesprochen worden. Vielleicht, weil für die Bedürfnisse der jungen Leute in der Gemeinde ausreichend gesorgt ist. „Wir haben eine supergute Vereinslandschaft“, sagt sie, da fühlten sich die Jugendlichen angenommen. Veronika Sieber sieht fürs Erste ihre Mission in der Kommunalpolitik erfüllt. Vater Albrecht steht derweil wieder auf der Kandidatenliste und der 22-jährige Timo, der den Altersdurchschnitt wieder deutlich senken könnte. Ob auch sie es dauerhaft aushalten wird, ohne in der Politik ihrer Gemeinde aktiv zu sein, lässt Veronika Sieber indessen offen. Aus Brigachtal wegziehen will sie zumindest nicht.

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Wählen ab 16 bei der Kommunalwahl 2019

  • 200.000 junge Wähler: Erstmals haben in Baden-Württemberg 200 000 16- und 17-Jährige bei den Kommunalwahlen am 25. Mai 2014 wählen dürfen. Das Kabinett der grün-roten Landesregierung hatte am 6. November 2012 eine Änderung des Kommunalwahlrechts beschlossen, nach der das Mindestwahlalter bei kommunalen Wahlen von 18 auf 16 Jahre gesenkt werden soll. Am 7. März 2013 hatte die Landesregierung den Gesetzentwurf in den Landtag eingebracht, am 11. April 2013 wurde das Gesetz vom Landtag mit grün-roter Mehrheit verabschiedet. Die Oppositionsfraktionen CDU und FDP kritisierten die Pläne als parteitaktisch motiviert.
  • Ziel der Altersabsenkung bei der Kommunalwahl sei es, junge Menschen auf diesem Weg frühzeitig in demokratische Entscheidungsprozesse einzubeziehen, heißt es bei der Landeszentrale für Politische Bildung (lpb). Neben dem aktiven Wahlrecht bei Gemeinderats-, Kreistags- und Bürgermeisterwahlen können sich Jugendliche vom 16. Lebensjahr an auch an Bürgerbegehren, Bürgerentscheiden und Bürgerversammlungen beteiligen. Im Rahmen einer Kampagne im Internet und auf sozialen Netzwerken versucht die lpb Erstwähler über ihre Rechte aufzuklären.
  • Kleiner Unterschied Frauen und Männer: In den Gremien der Kommunen Baden-Württembergs haben Männer nach wie vor die Oberhand. 76,1 Prozent aller Sitze fielen beim letzten Mal auf Männer, 23,9 Prozent wurden von Frauen besetzt. Noch größer ist der Unterschied in den Kreistagen. Hier werden 80,9 Prozent der Sitze von Männern gehalten (19,1 Prozent Frauen). Anders sieht es hingegen im Deutschen Bundestag aus, wo der Frauenanteil immerhin bei 30,9 Prozent liegt (Männer 69,1). Im Europäischen Parlament in Brüssel werden dagegen 36,8 Prozent der Sitze von Frauen besetzt (Männer: 63,2).