Bei der Vorstellung der Kriminalitätsstatistik 2023 gab es von Polizeipräsident Uwe Stürmer klare und kritische Aussagen zur Teil-Liberalisierung von Cannabis. Bekanntlich ist der Besitz von 25 Gramm erlaubt, ebenso darf jede Person drei Pflanzen anbauen. Wobei die erste Ernte erst im Herbst zu erwarten sei, generell werde der Konsum von Cannabis zunehmen. Wie sich diese Freizügigkeit mit dem Jugendschutz vereinbaren lässt, ist dem obersten Polizisten in der Region ein Rätsel. Klar ist für ihn jedoch: „Die Teil-Liberalisierung von Cannabis wird einen Anschub für die organisierte Kriminalität geben.“

Legalisierung führt zu einer größeren Verfügbarkeit von Cannabis

Mit der gesetzlichen Änderung werde signalisiert, dass Cannabis harmlos sei – sonst würde es ja nicht freigegeben, so der Polizeipräsident. Die geplante Kampagne „Legal – aber gefährlich“ dürfte nach Überzeugung von Uwe Stürmer kaum verfangen.

Zitat: Uwe Stürmer, Polizeipräsident
Zitat: Uwe Stürmer, Polizeipräsident | Bild: Blust, Julia

Die Legalisierung werde absehbar zu einer Erhöhung des Angebots, einer größeren Verfügbarkeit und damit auch zu einem höheren, gesundheitsschädlichen Konsum führen. Schon jetzt gelinge der Jugendschutz bei den legalen Drogen wie Nikotin und Alkohol nur sehr lückenhaft. Es sei absehbar, dass dies bei Cannabis nicht anders sein werde. Auch ob das Konsumverbot im Abstand von nur 100 Metern irgendeine Schutzwirkung entfaltet, bleibe abzuwarten, blickt der Polizeichef skeptisch in die Zukunft. In der Praxis werde sich das beweiskräftig nur schwer kontrollieren lassen.

Rauschgiftkriminalität 2023 im Landkreis Sigmaringen

Die Anzahl der Rauschgifttoten war im Bereich des Polizeipräsidiums Ravensburg wie im Vorjahr bei zwei Personen, und zwar je eine Person im Zollernalbkreis und im Kreis Sigmaringen. Insgesamt verringerte sich die Rauschgiftkriminalität von 1942 Fällen im Jahr 2022 auf 1703 im Jahr 2023. Dabei gab es 1163 Verstöße in Zusammenhang mit Cannabis, zehn mit Heroin, 62 mit Kokain, 291 mit Amphetamin und zehn Fälle mit LSD. Beim illegalen Handel und Schmuggel mit Betäubungsmitteln machte Cannabis mit 258 den größten Teil der insgesamt 390 Fälle aus. Wegen Anbau von Betäubungsmitteln gab es 40 Verfahren und wegen Abgabe an Minderjährige wurde 54 Mal ermittelt. Im Kreis Sigmaringen erhöhte sich Zahl der Drogendelikte leicht auf 366.

Schwarzmarkt wird größer werden

Auch das Problem des Fahrens unter Drogeneinfluss werde größer werden, ist Uwe Stürmer überzeugt: „Fahren und kiffen verträgt sich nicht. Unfälle unter Drogenkonsum werden absehbar zunehmen.“ Und auch bei der Frage des Preises für Rauschgift sieht er ein grundsätzliches Dilemma: Wenn Cannabis teuer sei, werde zwar weniger gekifft. Zugleich blühe dann aber der Schwarzmarkt. Sei der Preis dagegen niedrig, halte sich der Schwarzmarkt zwar in Grenzen, aber dann werde eben auch deutlich mehr gekifft. Dass der Preis maßgelblichen Einfluss auf das Konsumverhalten habe, wisse man von Tabak und Alkohol.

Dealer werden jüngere Zielgruppen suchen

Nachdem Cannabis für Jugendliche verboten bleibe und Heranwachsende eine THC-Grenzwerteinschränkung von maximal zehn Prozent haben, werden sich nach Auffassung von Stürmer die Dealer gerade auf diese eigentlich besonders schutzwürdige Altersgruppe fokussieren. Überhaupt fragt sich der oberste Polizist in der Region, wie man diesen Grenzwert feststellen soll. „Und wie die Weitergabe von Erwachsenen, die Cannabis anbauen, an jüngere Geschwister unterbunden werden soll, bleibt völlig offen?“, formuliert er als nächste Frage.

Stürmer befürchtet ein Konjunkturprogramm für organisierte Rauschgiftkriminalität

Die Teillegalisierung trat bekanntlich zum 1. April in Kraft. Mit dem Anbau von Cannabis in den „Cannabis-Clubs“ soll – wenn es so kommt – ab 1. Juli gestartet werden. „Wie soll der zum Start absehbar hohe Nachfrageschub gedeckt werden, wenn die Produktion von Cannabis erst mit mehrmonatigem Verzug anläuft?“ Diese Frage hat Uwe Stürmer gleich selbst beantwortet: „Jedenfalls nicht aus legalen Quellen. Faktisch ist das ein Konjunkturprogramm für die organisierte Rauschgiftkriminalität.“ Ein Teil der Cannabis-Konsumenten werde sich nicht in Cannabis-Clubs mit seinen Personalien registrieren lassen, sondern lieber anonym bleiben wollen. Auch die „retrograde“ Aufhebung entsprechender Verurteilungen in früheren Fällen, die heute nicht mehr strafbar wären, binde erhebliche Ressourcen. Tatsächlich müssen die Strafverfolgungsbehörden tausende von Akten sichten und bislang wurden schon hunderte Verfahren wegen Drogendelikten eingestellt.

Praktiziertes Cannabis-Verbot war nicht erfolgreich

Der Polizeipräsident befürwortet mit Blick auf die Entwicklung der vergangenen Jahre, dass der Gesetzgeber reagiert hat, denn die praktizierte Verbotspolitik habe auch nicht zu befriedigenden Ergebnissen geführt, wie die hohe Verfügbarkeit an Cannabis zeige. Nach der Änderung der Gesetzeslage müssen nach Ansicht von Uwe Stürmer schnellstmöglich Antworten auf die in der Praxis drängenden Fragen gegeben, die Regularien der Abgabe einschließlich aller damit verbundenen Finanzierungsfragen geklärt und praxisgerecht geregelt werden. Und später müsse eine unabhängige und vor allem ehrliche Evaluation durchgeführt werden und nicht „den Karren“ dann einfach laufen zu lassen.