In elf Jahren werden im Landkreis Sigmaringen 36.256 Menschen leben, die älter als 65 Jahre alt sind, also jeder vierte der für 2035 prognostizierten 134.804 Bewohner. Und die große Mehrheit der Besucher bei der Abschlussveranstaltung zur „Seniorenkonzeption“ im Landratsamt wird dieser Altersgruppe angehören, wie Landrätin Stefanie Bürkle bei ihrer Begrüßung erklärte, verbunden mit der klaren Botschaft: „Das betrifft uns.“ Im Jahr 2012 betrug der Anteil der über 65-Jährigen 19 Prozent und die prognostizierte Steigerung ist der Tatsache geschuldet, dass die künftige Rentnergeneration der „Babyboomer“ eine höhere Lebenserwartung haben wird. Der Anteil der unter 20-Jährigen stagniert im Landkreis bei etwa 20 Prozent.

Handlungsempfehlungen für Politik und Gesellschaft

Dieser demografische Wandel birgt enorme gesellschaftliche Herausforderungen und deshalb hat der Landkreis sich vor zwei Jahren auf den Weg gemacht, sich dieser Aufgabe zu stellen. Dazu wurde der Kommunalverband für Jugend und Soziales Baden-Württemberg (KVJS) mit der Erstellung einer Seniorenkonzeption beauftragt, der die Realität widerspiegeln und Handlungsempfehlungen für Politik und Bevölkerung geben sollte, wie Landrätin Stefanie Bürkle erklärte. Alle 25 Kreisgemeinden werden im Jahr 2035 eine deutlich ältere Einwohnerschaft haben. So wird für Sauldorf wird eine Zunahme der über 65-Jährigen um 76 Prozent erwartet und in Herdwangen-Schönach wird die Altersgruppe ab 80 Jahren bis 2035 um 66 Prozent zunehmen.

Solitäre Kurzzeitpflegeplätze fehlen im Landkreis Sigmaringen

Im absoluten Fokus des Abschlussberichts von KVSJ-Vertreter Moritz Laske stand die Pflegesituation im Landkreis Sigmaringen. Die Zahl derjenigen, die Pflegeleistungen benötigen beziehungsweise in Anspruch nehmen hat sich von 3295 im Jahr 2011 auf 6686 Personen erhöht, auch weil der Gesetzgeber den Kreis der Anspruchsberechtigten mehrfach erhöhte. Bis 2023 wird sich deren Zahl auf 7701 Betroffene erhöhen, wobei die Mehrzahl ambulant oder zuHause von Angehörigen versorgt werden wird.

Geringer Mehrbedarf an Dauerpflegeplätzen

Für die Dauerpflege mit derzeit 927 Plätzen prognostizieren die Experten deshalb „nur“ einen Mehrbedarf von 70 bis 165 Plätzen. Noch schwieriger ist die Vorhersage für die Tagespflege, wo es derzeit 14 Einrichtungen mit 198 Plätze gibt. Wenn sich das Nachfrageverhalten bis 2035 nicht ändert, wäre der Mindestbedarf 25 zusätzliche Plätze. Als Höchstbedarf haben die Fachleute 369 Plätze errechnet, denn viele Menschen würden die Tagespflege unter verbesserten Rahmenbedingungen nutzen. Einen klaren Mangel hat der KVJS bei den solitären Kurzzeitpflegeplätzen erkannt, erläuterte Moritz Laske, dass es im Landkreis derzeit 29 Plätze gibt und bis 2035 einen bedarf von 51 Plätzen.

Quartiersmanagement in den Kommunen

Als Alternative zum Umzug in eine vollstationäre Pflegeeinrichtung kommen auch ambulante betreute Pflege-Wohngemeinschaften in Frage. Im Landkreis gibt es 47 solcher Plätze und 20 weitere sind in Planung, dazu eine Pflege-WG mit acht Plätzen. In elf Kommunen gibt es 21 ambulante Pflegedienste sowie kreisweit 74 sogenannte Unterstützungs- und Entlastungsangebote, beispielsweise hauswirtschaftliche Dienstleistungen und für pflegende Angehörige gibt es weitere 25 Angebote. Klar ist, dass die Kommunen die Bedürfnisse der älter werdenden Einwohnerschaft berücksichtigen müssen, was neun Gemeinden durch eine sogenannte Quartiersentwicklung schon versuchen. Ziel ist dabei, Ältere im vertrauten Wohnumfeld zu belassen, wobei die Vernetzung und bürgerschaftliches Engagement zentrale Faktoren solcher Quartiere sind. Der Landkreis unterstützt Gemeinden beim Auf- und Ausbau von solchen sorgenden Gemeinschaften.

Mehr Informationen über Tagespflege notwendig

Man solle nicht nur nach den Zahlen schauen, mahnte Karlheinz Fahlbusch, Vorsitzender des VdK-Ortsverbandes Pfullendorf: „Die Betroffenen sind Menschen mit bestimmten Ansprüchen und so mancher Senior will nicht in die Tagespflege, sondern erwartet von den Angehörigen diese Fürsorgeleistung.“ Umso wichtiger sei, die positiven Effekte von Tagespflegeeinrichtungen hervorzuhaben, und zwar für Betroffene wie auch für die pflegenden Angehörigen. Zur Tagespflege meldete sich auch Hohentengens Bürgermeister Peter Rainer zu Wort. „Die Ehrenamtlichen sind am Anschlag“, mahnte er, dass deren Engagement bei der Pflege nicht überstrapaziert werden dürfe. Jegliches Verständnis fehlt ihm, wenn geplante Tagespflegeeinrichtungen daran scheitern, dass die Räumlichkeiten wenige Zentimeter zu schmal seien. Rainer fragte auch, ob die vielen, vornehmlich osteuropäischen Pflegekräfte, die in Familien und Haushalten die Pflegeaufgaben übernehmen, in der Seniorenkonzeption berücksichtigt wurden, was Moritz Laske verneinte.

Bürger sollen sich frühzeitig mit dem Alter beschäftigen

„Wer schafft Pflegeplätze und gibt es Zuschüsse“, fragte Alfred Stecher, Gemeinderat aus Ostrach. Landrätin Bürkle machte hier klar, dass der Landkreis kein Träger von Pflegeheimen sein wird. Vom Land werde die Quartiersentwicklung finanziell gefördert, ist die Kreischefin überzeugt, dass dies „der Weg sein wird.“ Zudem müssten Entlastungsangebote für pflegende Angehörige erweitert und generell für Pflege ein positiver Rahmen geschaffen werden. Mahnend fügte sie hinzu, dass sich jeder Bürger frühzeitig mit der Thematik „Leben und Wohnen im Alter“ beschäftigen sollte und nicht abwarten, bis der Ernst- sprich Pflegefall eintritt. Und es gab von Bürkle die weitere Ansage, dass Staat und Gesellschaft nicht alle Risiken abdecken könnten, sondern jeder Einzelne die Pflicht habe, für sein eigenes Leben mehr Verantwortung zu übernehmen.